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"Lehrlingshochburg" Wackersdorf

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Wer in Körtes Sprichwörterlexikon nachliest, kann feststellen, dass bereits in 1847 die Redewendung „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ im täglichen Sprachgebrauch verwendet wurde. Seinerzeit dürfte die Lehrlingsausbildung noch unter anderen Vorzeichen gestanden haben, insbesondere im ländlichen Raum, zumal man froh war, wenn der Sohn oder die Tochter bei einem Handwerksmeister eine Stelle bekam. Meistens musste man „Lehrgeld“ bezahlen, da oft auch eine Aufnahme im Haus des Lehrherrn erfolgte.

Dass Wackersdorf seit Jahrzehnten eine Spitzenstellung bei der Ausbildung junger Menschen einnimmt wird vielen nicht bekannt sein. Neben den Ausbildungsbetrieben im Handel, Handwerk oder bei Dienstleistern werden in der Industriegemeinde mehr als achtzig Jahre industrielle Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. Begonnen hat dies freilich mit der Bayerischen Braunkohlen-Ind. AG, die seit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg Lehrlinge ausbildete. Bereits 1930 wurden die ersten Lehrlinge eingestellt. Doch aus der unmittelbaren Region kamen zu wenig junge Menschen, so dass sehr früh Arbeitskräfte aus dem weiteren Umfeld geworben wurden.

Erst Mitte der dreißiger Jahre nahm die Ausbildung aufgrund der Technisierung bei der BBI wieder zu. Im Jahre 1938 betrug der Anteil der Handwerker und Facharbeiter 13,21 %, 1956 war er bereits auf 30,7 % der BBI Belegschaft gestiegen. Interessant dabei ist ein Lehrvertrag zu einer betrieblichen Schlosserausbildung aus dem Jahre 1938, den mein Vater mit der Braunkohlenfirma einging. Vier Jahre Lehrzeit waren angesagt. Da jedoch mein Vater ein Jahr die ländliche Bergarbeiter-Berufsschule besuchte, bekam er ein Lehrjahr erlassen.

Bereits damals gab es straffe Regelungen zum Ausbildungsverhältnis. Während zu früheren Zeiten „Lehrgeld“ zu zahlen war, wie oben erwähnt, zahlte die BBI bereits „Erziehungsbeihilfe“. Wenngleich auch der stündliche Betrag nur bei 0,14 RM (Reichsmark) lag, was einem monatlichen Betrag von etwa 25 RM (Reichsmark) ausmachte. Die Preise lagen zur damaligen Zeit z.B. bei einem Kilogramm Brot bei 0,37 RM oder bei einem halben Liter Bier bei 0,39 RM. Viel konnte deshalb mit der Beihilfe nicht erstanden werden.

Dreißig Jahre später besiegelte ich selber dann einen Lehrvertrag mit der BBI Werksleitung, selbstverständlich unter anderen Vorzeichen. Die Ausbildungsbeihilfe, wie diese zwischenzeitlich nach dem neuen Berufsbildungsgesetz benannt wurde, betrug immerhin im 1. Lehrjahr 134,-- DM (Deutsche Mark)! Gemessen am Bierpreis 1968 mit 0,65 DM zwar auch nicht zum reich werden gedacht, aber im Vergleich zu Handwerkslehrlingen ein stolzer Betrag.

1956 wurde schließlich eine moderne Lehrlingswerkstatt in Betrieb genommen. In der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der BBI (Bayerische Braunkohlen-Industrie Aktiengesellschaft) wird dazu Folgendes ausgeführt: „Die BBI hat der Lehrlingsausbildung stets große Aufmerksamkeit gewidmet. Fünf ständig dort beschäftigte Meister und Lehrgesellen gewährleisteten eine gute Ausbildung der 20 bis 24 jährlich eingestellten gewerblichen Lehrlinge. Insgesamt sind in den letzten 25 Jahren 285 Betriebsschlosser und Dreher sowie 175 Elektriker ausgebildet worden."

Neben dem wöchentlichen Unterricht an der staatlichen Berufsschule in Schwandorf erfolgte zusätzlich noch ein betrieblicher Unterricht an der eigenen Werksschule.

Eine Geschichte aus der BBI Ausbildungszeit sollte nicht unerwähnt bleiben. Als im Jahre 1961 der auf obigem Foto abgelichtete Jahrgang die Lehrzeit begann, musste der Ausbilder der Schmiedeausbildung Josef Schmid alsbald den vorzeitigen Ruhestand antreten. Der Lehrling Günter Brunnbauer hatte beim Schmieden auf dem Amboss den großen Hammer so daneben geschlagen, dass er dem Ausbilder die Hand zertrümmerte. Von diesem Zeitpunkt an übernahm dann Andreas Zimmerer die Ausbildung im Schmiedehandwerk.

Als schließlich im September 1982 der Braunkohlenbetrieb aufgrund fehlender Kohlevorräte zu Ende ging, war trotzdem Zuversicht auch für die Lehrlingsausbildung gegeben. Intensive Verhandlungen der Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft sicherten Nachfolge zu, wenngleich die erwarteten Ansiedlungserfolge anfangs nur sehr spärlich waren.

Licht am Horizont zeichnete sich erst ab, als sich die WAA Betreiberfirma DWK (Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen mbH) bzw. DWW (Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf mbH) bereit erklärte, in den Räumen der ehemaligen BBI Lehrlingswerkstatt die Ausbildung fortzusetzen. Bald wurden die vorhandenen Räume umgebaut und erweitert und neue Ausbildungsfelder besetzt. Bereits im Oktober 1983 erfolgte der Startschuss mit dem Ausbildungszentrum der Fachrichtung Metall. Schon 1987 waren 44 Azubis in der Ausbildung.

Die Planung der neuen Gebäude übernahm das renommierte Büro Hanns Huber aus Regensburg. Nach einer kurzen Planungs- und Bauzeit konnte am 21. Oktober 1988 das DWW-Ausbildungszentrum für Chemiefacharbeiter vom bayerischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Alfons Zeller seiner Bestimmung übergeben werden.

Für 1989 war die Zahl 200 angepeilt; mehrere hundert Lehrlinge waren angedacht. Mehr als 1000 Quadratmeter Fläche standen für moderne technische Einrichtungen und qualifizierte Ausbildung bereit. Zum Glück konnte auf gute Ausbilder aus der BBI-Zeit zurückgegriffen werden. So standen u.a. mit dem heute 90-jährigen Willi Weiherer, Alois Schneider und dem Steinberger Peter Frankerl versierte, langgediente Kräfte als „Lehrherrn“ zur Verfügung.

Und was schließlich aus den Lehrlingen, auch Azubis genannt, geworden ist, sieht man beispielhaft, wenn die Bilder aus der Zeit aus 1986 ff. mit heute verglichen werden. Stefan Weiherer, einst Auszubildender und Betriebsrat bei der damaligen DWW, lehrt heute erfolgreich als Vizepräsident und Professor für angewandte Ingenieurwissenschaften an der Fachhochschule Ansbach oder Manfred Drexler, der sich nach seiner Gesellenzeit alsbald zum  Industriemeister weiter bildete.

Übrigens noch ein paar Ausführungen zum Begriff „Lehrling“. Während man zu Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg noch vom „Stift“ sprach, wurde in den 30er-Jahren immer mehr der Begriff „Lehrling“ verwendet. Und erst ab 1971 fand das neue Wort „Auszubildender“ mit dem neuen Berufsbildungsgesetz Einzug in die deutsche Nachwuchsausbildung.

Das Wort „Stift“ leiten viele davon ab, dass seit alters her die Ausbildung junger Menschen in Klöstern oder in einem Stift stattfand. Im Duden wird davon gesprochen, dass es sich um Personen handelt, die eine geringwertigere Tätigkeit ausführen. Letzten Endes kann dies dahingestellt bleiben - ob Stift, Lehrling oder Azubi. 

Leider musste nach dem Aus der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf alsbald die Lehrlingsausbildung eingestellt werden. Aus dem Ausbildungszentrum wurde eine staatliche Einrichtung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt. Heute ist die Firma ARGES Hausherr der Gebäude und produziert u. a. innovative Laser-Scan-Systeme; auch hier wird ausgebildet.

Des Weiteren findet Ausbildung z. Zt. noch neben dem örtlichen Handwerk und bei Dienstleistern in den Betrieben im Industriegebiet Nord und im Westlichen Taxölderner Forst statt. Außerdem werden bei der Verwaltungsgemeinschaft Wackersdorf seit Jahrzehnten junge Menschen im Ausbildungsberuf „Verwaltungsfachangestellter“ ausgebildet.

 

Quellen:

Bayerische Braunkohlen-Industrie Aktiengesellschaft 1906-1956, Hg. von der BBI-AG, Schwandorf

Bayerische Braunkohlen-Industrie Aktiengesellschaft, 75 Jahre BBI, Hg. von der BBI-AG, Schwandorf

Die WAA Wackersdorf-politisch gewollt, technisch machbar und betriebswirtschaftlich unsinnig, Gert Wölfel, Dr. Reinhard Proske, 2018, S. 49

https://www.hs-ansbach.de/personen/weiherer-stefan/ (Stand: 23.11.2020)

https://www.vg-wackersdorf.de/Start/index.php?ModID=9&object=tx%7C2734.10&FID=41.859.1 (Stand: 23.11.2020)

Josef Rappel, Wackersdorf, Beiträge zur Geschichte der Gemeinde und Pfarrei Wackersdorf, 1974, S. 173

Impulse, Mitarbeiter Magazin der DWK, DWW Nr. 3/ Dezember 1987, S. 6

Broschüre Industriestandort Wackersdorf, Perspektiven für die Zukunft, Stand Juli 1989, S. 17

Fotos: Privat, Archiv Weiherer

 

 

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